LL Aktuell

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Geschichten und andere Geschichten

Saturday, May 7, 2011

Nun also erster Stock


Da eine Theologie-Dozentin dies Wochenende in Bonn irgendwas machen will, gab ich das Gästezimmer frei und gästige nun in Raika's Raum. Dieser jenige welche ist im ersten Stock. Gelebt habe ich hier tatsächlich noch nie. Sein tu ich hier ständig. Der erste Stock hat die große Gemeinschaftsküche und die Spülmaschine. In eben jeniger Küche findet man daher auch immer mindestens ein nettes Leut zum reden, Teetrinken und ähnliches. Außer um sieben Uhr morgen an einem Samstag.
Heute ist Samstag und ich war vor einer viertel Stunde in der Küche. Jetzt ist es sieben Uhr fünfzehn.
Um sieben Uhr morgens also, an diesem Samstag, saß ich mutterseelenallein in der Küche und trank meinen Tee. Draußen schien schon die Sonne. Mich umgaben Vogelgezwitscher und Kirchengeläut von draußen und zwei Uhren in der Küche. Eine Uhr war analog, die andere digital. Der Sekundenzeiger der Analogen schritt von Sekunde zu Sekunde mit einem Knirschen wie ein Soldat im Kies. Die Leuchtanzeige der Digitalen blinkte dazu im Sekundentakt. Von 5:54 bis 5:58 brannte sich ihre neonrote Schrift auf meine Netzhaut. 240 Sekunden lang konnte ich nicht wegschauen. Schließlich war ich überzeugt: das Zimmer ist spiegelverkehrt, nur sie ist richtig.
Danach war mein Tee gezogen. So konnte ich wieder wegschauen. Ich warf den Teebeutel in den Müll, nahm die Tasse und ging. Keine der beiden Uhren hat mich zum Bleiben bewegen können. Sie gehen beide falsch.


Erzähl mir deine Tante

Ob das alles wohl damit zusammenhängt, dass Matthew gestern im Südbahnhof spielte? Ich weiß es nicht. Meine Pünktlichkeit machte mich zumindest zum effektiv einzigen weiblichen Groupie. Als ich ankam pünktlich um zwanzig nach acht zu einem Konzert, das um acht beginnen sollte, war Matthew der einzige, den ich kannte. Er bat mich, mich ihm gegenüber zu setzen, und so setzte ich mich zur Band, die gerade noch Frikadellen und Würstchen aß. Es war zwar noch ein Mädchen da, aber zählt man als Groupie, wenn man mit dem Bassisten schläft? Ich weiß ja nicht. Mich haben sie damals nicht als Groupie gezählt. Eher als Bassi.
Immerhin kam dann irgendwann John. Er setzte sich kurz an den Groupie-Tisch, verschwand dann aber wieder. Danach kam David, der es garnicht bis vor die Bühne schaffte, sondern auf halber Strecke am Kicker hängen blieb. Irgendwann kamen dann auch Mirl und Nicholas, und blieben noch weiter vorne hängen. Derweil spielte die Band übrigens schon ne Stunde. Sie hatten tatsächlich direkt nach der Frikadelle angefangen. Da hielt mich dann aber auch die Musik nicht mehr vorne in der ersten Reihe, wo der Groupietisch war, und ich ging hinter, weit hinter den Kicker und trank mit Mirl, Samame und John, dessen Vater Pressesprecher einer Militärorganisation in einem vom Krieg beherrschten Land wird, mit denen trank ich noch Bier, bis ich heimging. Wie das in guten Unterhaltungen so ist, weiß ich jetzt nicht mehr genau, in welchem Zusammenhang "erzähl mir deine Tante" das erste mal fiel. Aber der Spruch hat dermaßen Charakter, dass wir ihn uns danach recht häufig an den Kopf warfen. Er passt hinter Sätze wie "Du denkst wohl auch, du hättest im Lotto gewonnen, oder?" oder "DU hast deine Hausarbeit pünktlich abgegeben?" oder "dann hat er mich allein da stehen lassen, mitten in der Nacht" oder "ich bring dich nach Hause, wenn du betrunken bist, und du erzählst mir währenddessen schön deine Tante." Bis auf den letzten Satz waren alle Beispiele übrigens erfunden, und heimgebracht werden musste dann auch keiner. Wir blieben doch bei Bier, obwohl die Longdrinks so günstig waren. Erzähl mir deine Tante.


Grund zur  Verspätung

Ja, die Verspätung von Mirl und Nicholas an diesem Abend kann man verstehen, wenn man wusste, was sie im Kühlschrank hatten. Sie konnten sich nicht entscheiden, was sie essen sollten, und dann haben sie lukullisch ein bißchen Sushi genossen. Beide hatten am Abend vorher groß gekocht, was ich genießen durfte, weil ich geladen war mit einer Flasche Wein. Zusammen, denn ich half schneiden, zusammen kochten wir also eine Spargelquiche mit Schinken für heute (=Samstag), Sushi mit Rettich, Rind, Omlett und Gelberüben für irgendwann, und schließlich gab es noch Nudeln mit Chilie von gestern, Salat, Koriander und Sauerrahm zum gleich essen. Zwischen kochen, essen und weiterkochen saßen wir immer wieder mal auf der Plattform zur Feuerleiter vor dem Küchenfenster. Von dort hat man eine fantastische Sicht auf den Garten. Um sieben, halb acht abends steht die Sonne außerdem gerade so, dass man noch Licht hat auf der Plattform, bevor die Sonne langsam hinter der Birke im Nachbarsgarten verschwindet. Dies ist ein Ort für so Bücher, die man richtig gerne ließt. Irgendwann verzieh ich mich auch noch da hin in einem stillen Moment mit meinem Buch. Nur werd ich mich vielleicht besser festbinden um nicht zwischen den relativ weiten Geländerstangen durch acht Meter tief in den Garten zu fallen. Vielleicht setz ich mich auch einfach aufs Dach. Mal sehen.

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