LL Aktuell

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Geschichten und andere Geschichten

Sunday, July 24, 2011

Nachtrag(end)

Ay me bloggies,


Eva is - as she often is - right when she asks me rhetorically whether I stopped blogging completely. I've been offline these last weeks, indeed I only accessed the web on my mobile cause I went living in an old farmhouse in Aubing where there is no wireless. Instead people sit in the kitchen and talk to each other, real life and in person, without any computer. It's really oldstyle. You should try it. After two days I stopped slouching, after three days smiling didn't hurt anymore. Now I only use my computer to write fiction, and that's good. Here is an example: It's called 


Karibikfeeling

btw Those of you who make it to the end of the three page stor(e)y will be rewarded with pictures. Pictures!!!! Yay! But now, read on please: 



Frau Kraftschick fing wieder mit dem Tippen an. Frau Siegert hatte gerade ihr Büro verlassen mit dem Vertrag, den Frau Kraftschick für sie ausgehandelt hatte. Soll sie den Job bei der Anwaltskanzlei mal annehmen, die Frau Siegert. Auch wenn er schlecht bezahlt und der Chef ein Choleriker ist. Zumindest wollen sie sie in der Anwaltskanzlei. Das ist doch eh das Wichtigste.

Sie wollte niemand, die Kraftschick. Nicht ihre Kollegen in der Arbeitsagentur, nicht ihre Katze. Ihre Kunden wollten sie vielleicht, zumindest am Anfang. Bis sie dann rausfanden, dass sie eine professionelle Lügnerin ist, dann wollten sie sie auch nicht mehr. Mit Menschenleben spielt sie, die Kraftschick, nein, sie verwaltet sie. Ordentlich gelistet unter ihren Hoffnungen:

„Ich wäre gern Verkäufer für Ballettzubehör,“ sagt der übergewichtige Maurer Borgenheim und Frau Kraftschick legt ihn ab unter T wie Traumtänzer. Zwei Kunden hat sie heute noch, einen Angeber und einen Zögerling, dann darf sie nach Hause gehen.

Ihre Kollegin wünscht ihr einen schönen Abend mit diesem automatischen Lächeln, bei dem zwar die Stimme höher geht, aber die Augen nicht strahlen. Frau Kraftschick schenkt ihr kaum Beachtung. Es ist schwer, professionellen Lügnern etwas zu glauben, vor allem wenn man selber einer ist.

„Wahrscheinlich Berufsschicksal,“ denkt Frau Kraftschick, „dieses Nicht-gewollt werden.“ Sie ist auf dem Nachhauseweg. Ihre Pfennigabsätze klickern hell auf dem Asphalt.

Sie denkt noch ein wenig an ihren letzten Patienten. Wie er vor ihr saß mit seiner Wampe und den wässrigen Augen. Es ist Herr Zögerling. Er will nicht kündigen. Seit siebzehn Jahren arbeitet er in einem Großraumbüro. Irgendwann war seine Frau gestorben und er hatte einige Sauftreffen mit den Kollegen ausfallen lassen. Danach haben sie ihn nicht mehr eingeladen. Oder mit ihm geredet. Am Ende haben sie ihm nicht einmal mehr den Tacker gereicht.

„Da habe ich immer häufiger zu Schublade gegriffen,“ sagt er mit tränenschwangerer Stimme. Frau Kraftschick muss nicht nachfragen, was in der Schublade ist. Seine dicke, rote Nase verrät ihn. Eine Beschwerde wegen Mobbings ist ausgeschlossen. Die Kollegen haben ja nichts gemacht! Garnichts. Ein anderer Job für einen 54jährigen Sachbearbeiter mit Alkoholproblemen war aber auch nicht zu finden. So kann sie auch nichts anderes machen als betreten wegschauen.

Immer kommt dieser Punkt, an dem Frau Kraftschick ihren Kunden vermitteln muss: Diese Hoffnungen, die Sie da haben, die sind tot. Bleiben Sie lieber Steuerberater oder Spielhöllenbesitzer. Kellnern Sie weiter für den Rest ihres Lebens und zahlen Sie die Nachhilfe für ihre Kinder vom Trinkgeld. Die große neue Karriere von der Sie träumen, die existiert nicht für Sie.

Das sagt sie aber erst am Ende. Am Anfang sagt sie: „Kaffeeflecken auf ihrer Bewerbung sollten Sie vermeiden“ Oder: „Handwerk schreibt man mit e nicht mit ä.“

Sie sollten es da schon ahnen, dass das nix wird mit dem neuen Job, ihre Kunden. Kunden, die eigentlich gar keine Kunden sind.

Für Frau Kraftschick sind es Patienten. Patienten, die an Mobbing leiden, an Fettleibigkeit und Trinksucht, Patienten, die gern Schwächere quälen, und die allesamt eine gemeinsame Krankheit haben: Unvermittelbarkeit. Trotzdem muss sie sie Kunden nennen, ihre Patienten, wegen der Regeln der Arbeitsagentur.

Es ist schon verflixt mit ihnen. Wenn sie ihre Unterlagen durchsieht, schwindet Frau Kraftschick der Mut. Mit jedem schlechten Arbeitszeugnis und jedem Tippfehler mehr glaubt sie weniger daran, diesen Arbeitslosen wieder an den Mann zu bringen. Bei den Kunden ist es aber genau andersrum. „Jetzt, wo die dicke Frau Kraftschick mit ihren Blüschen und Röckchen meine Unterlagen durchgeht, stehen die Chancen sicher besser,“ denken sie. Und sie glauben an sie. „Wenn die Kraftschick meine Unterlagen auf Vordermann bringt, dann bringt sie sicher auch mich auf Vordermann. Die kann das,“ denken sie. „Die macht das.“

Pustekuchen. Sie kann den Zögerling genauso wenig von der Trinksucht erretten wie den Maurer zum Tänzer machen.



„Egal, man soll seine Arbeit nicht mit nach Hause nehmen,“ sagt Frau Kraftschick laut. Zwei Halbstarke neben ihr am Gleis verstummen spontan. Frau Kraftschick nutzt ihre Verwirrung, um sich den einzigen Sitzplatz in der einfahrenden Bahn zu ergattern.

Zwei Stationen später steigt sie aus. Zum Zeitungsmann am Bahnhof sagt sie: „Eine Brigitte, bitte.“ Sein Körper ist drahtig und muskulös. Er hat eine schwarze Strickmütze auf und braune Augen. Sie drückt ihm das Geld in die Hand und er schaut zur Seite. Keine braunen Augen für Frau Kraftschick heute. Dabei kommt sie nur wegen denen vorbei.

Vor einem Jahr hatte sie dieses Schundblatt gekauft, weil es ein Meet-and-Greet mit George Clooney verloste. Gewonnen hatte Frau Kraftschick nur die braunen Augen und jede Woche etwas Papiermüll mehr. Jeden Tag war sie an ihm vorbei gegangen, hatte ihm zugeblinzelt und alle paar Tate etwas gekauft. Nach einem Monat wollte sie schon wieder damit aufhören, weil da nicht mehr zu sein schien bei den Augen als ein gelegentliches „schönes Wetter heute.“

Aber dann redete er plötzlich von sich aus. Ganz plötzlich, ohne das Frau Kraftschick einen neuen Hut trug, verführerisch duftete oder sonst eine Änderung vorgenommen hatte wie bei den vorherigen Besuchen.

Es sei ein schlechter Tag, sagte er damals. „Warum?“ fragte Frau Kraftschick. Er antwortete nur: „Ich will hier weg.“ Sie erwiderte nur: „Oh.“

Dann fing er an zu reden, von einer Bar in der Karibik und Cocktails mit kleinen Schirmchen, von Musiksessions mit Bongos und Gitarre unter Palmen. „Da will ich hin,“ erzählte er, „diese Bar aufmachen.“

Dabei sah er Frau Kraftschick unentwegt in die Augen. Ihr wurde ganz warm. Das Grau um sie verschwand, der Straßenlärm wurde zu Meeresrauschen, alles veränderte sich während er sprach und wurde zur Karibik. Nur er und seine Augen blieben bei ihr.

Vielleicht lag es an den schlanken, muskulösen Armen die sich unter dem Anorak des jungen Mannes abzeichneten. Aber Frau Kraftschick war sich sicher, es wären die Augen gewesen derentwegen sie diese Nacht zwei Stunden lang masturbierte.

In freudiger Erwartung kaufte sie sich am nächsten Tag einen Vibrator und eine Tageszeitung. Aber nix mehr von Karibikfeeling zwischen ihren Schenkeln. „Das gestern“ sagte der Zeitungsverkäufer, „war nur ein Tagtraum. Gesponnen habe ich. Gesponnen!“ fuhr er sie an. Dabei quetschte er die Zeitung in seiner Hand zusammen.

Frau Kraftschick erkannte die Haltung ihrer hoffnungslosen Kunden, die ihre Hoffnung doch noch nicht ganz aufgaben. Irgendwo in diesen Augen war noch Karibik! Und Frau Kraftschick reagierte darauf. Sie tat plötzlich das Gegenteil von dem, was sie bei ihren Kunden immer tat. Sie glaubte an den Traum vom Zeitungsverkäufer, verzweifelt, irrrational, und völlig unerwidert. Das Tageszeitung-Kaufen gab sie bald wieder auf, zu viel Papiermüll, aber die Wochenzeitung kaufte sie weiterhin. Seit einem Jahr lang jede Woche gab sie ihm Geld für eine Brigitte. In die Münzen legte sie soviel Zuversicht wie nur möglich, und ihr Blick sagte: „Zeitungsverkäufer, du kriegst das hin mit der Karibik, du machst das!“ Auch heute wieder. Aber auch heute keine Karibik.

Das frustrierte. Auf dem Heimweg hingen ihre Schultern, ihre Haltung war gebeugt, und ihre Pfenningabsätze schlurften nurmehr über den Asphalt.

„Aber nächstes Mal,“ dachte sie und zählte Zigarettenstummel auf dem Weg, „Da spricht er wieder mit mir über die Karibik.“ Zweiundzwanzig, dreiundzwanzig Zigarettenstummel. Sie weinte ein wenig. Aber dennoch wusste sie, sie würde nächste Woche wieder hingehen. Nächste Woche würde alles anders.

Daheim angekommen war sie allein. Nicht mal Bibi war da. Sie machte sich ein Abendessen aus Rehkitzinnereien und Backmarzipan und schlief vor dem Fernseher ein. Am nächsten Morgen pflückte sie sich die Marzipanbröckchen aus den Haaren und ging zur Arbeit. Sie kam wieder am Kiosk des Zeitungsverkäufers vorbei, aber er war geschlossen. In der Arbeitsagentur angelangt begann der neue Tag. Sie machte sich aufs Neue daran, langsam und gründlich die Hoffnungen ihrer Patienten zu zerstören.


Now, here are your pictures: 

Salzburg, 16.&17.7.2011 




 
Hittenkirchen am Chiemsee, 15.7.2011:











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