Friday, March 4, 2016

Philosophen sind bei Bränden einfach nicht zu gebrauchen

F. Herb geht die Straße entlang. Er ist ein kleiner, braunhaariger Mann mit gepflegtem Schnauzer und Teddy-Augen. Er geht gemächlich, ohne Eile. Sein Gesicht ziert ein verträumtes Lächeln. Wie er da so entlanggeht, führt ihn sein Weg zu einem Kiosk, an dessen Auslage es blitzt. Eine kleine, in farbige Aluminiumfolie gewickelte Schokoladenfigur steht dort und reflektiert das bißchen Sonnenlicht, dass sich in die Straßenschluchten verirrt hat. Darunter ist ein Schildchen angebracht, auf dem drei Zahlen stehen. Eins neunundneunzig steht da, neben eins fünfzig und Null Komma Fünfzig. Eins neunundneunzig und eins fünfzig sind durchgestrichen. F. Herb kauft den reduzierten Schokonikolaus. Dann geht er weiter, dorthin, wo er eigentlich hinwollte, zum Kindergarten. Es ist zwei Uhr sieben, als er vor dem buntbemalten Gartenzaun ankommt. Im Haus dahinter toben die Nachmittags-Kinder. Die Tür geht auf und lässt den Lärm kurz doppelt so laut werden. Dann schließt sich die Tür wieder und die Welt scheint plötzlich sehr still. Sogar hört man die eiligen Schritte einer blonden Hünin, die den kiesgesäumten Weg entlangläuft. Sie ist beinahe zwei Meter groß, ein Meter neunzig bestimmt. Sie beugt sich herab und küsst F. Herb. Dabei kneift sie eine seiner Pobacken. Die Kinder können es durch die Fenster nicht sehen, weil F. Herb mit dem Rücken zur Straße steht. Aber alle Autofahrer können es sehen. Zum Dank schenkt er ihr den Schokonikolaus.

Auch die Hünin hat ein Geschenk für F. Herb, eine rote Papierblume, die ihre Kindergartenkinder gebastelt haben. Er steckt sie in ein Knopfloch und sie gehen die Straße weiter. F. Herb geht wie ein Pinguin. Wahrscheinlich liegt es daran, dass er als Kind so viele Charly Chaplin Filme gesehen hat, zusammen mit seinem Vater. Ein dicker, untersetzter Mann mit Schnauzer – so wie F. Herb nur dicker. Wenn er lachte, versprühte er eine Fontäne von Kuchenkrümeln. F. Herbs Mutter war eine begnadete Bäckerin. Der Vater lachte häufig, wenn er Chaplin sah. Auch heute noch hat F. Herb Lust auf Apfelkuchen, wenn er „Der große Diktator“ sieht. Aber heute gibt es keinen Chaplin-Film. Und keinen Apfelkuchen. Heute gibt es etwas anderes zu Essen. „Was gibt es denn?“, fragt die Hünin F. Herb. „Wird nicht verraten“, antwortet F. Herb. „Das ist eine Überraschung.“

F. Herb und die Hünin gehen heim. Sie geht ins Wohnzimmer und schaltet den Fernseher ein, er geht in die Küche. Alles ist ruhig bis auf das künstliche Gelächter von der Sitcom, die die Hünin sieht. Plötzlich ertönt ein Gewehrschuss aus der Küche. Sie erschrickt. Dann noch einer. „Schatz, komm schnell!“ ruft F. Herb. Sie stürzt in die Küche wo es gerade wieder knallt, und sieht, wie Popcorn aus einem offenen Topf auf dem Gasherd durch die Küche fliegt – mehr und immer mehr, bis sich das Gewehrfeuer zu einer Salve steigert. F. Herb steht an der Seite, die Hände vor dem Schoß gefaltet. „Für dich Schatz, weil wir zu Sylvester keines hatten: Dein Feuerwerk.“

Der Gesichtsausdruck der Hünin zerschmilzt von erschrockener Besorgnis zu glücklicher Ergriffenheit. „Ohhhh“, seufzt sie gerührt. Sie umarmen sich ganz fest, und geben sich noch ein Kuss. Es ist ein langer, zärtlicher Kuss, voller Verbundenheit und Wärme. Die Vorhänge über der Spüle fangen Feuer. F. Herb und die Hünin bemerken es nicht, sie stehen aus einem Hagel aus heißem Popcorn, das nach Vanille und Fett riecht. Dann bemerken sie es aber doch. Mit einem „Wusch“ gehen die Vorhänge komplett in Flammen auf. Die Hünin lässt einen Schrei aus. Also ist sie doch wieder erschrocken und besorgt. Dann stürzt sie aus der Küche. F. Herb bleibt zurück, legt den Kopf schief und sagt: „Die Vorhänge brennen. Ich weiß jetzt nicht, was Rousseau dazu sagen würde.“ F. Herb ist nämlich Philosoph. Zur Zeit ließt er wieder die gesammelten Werke Rousseaus, Band drei. Da stürzt die Hünin wieder zurück in die Küche und löscht den Brand mit dem Feuerlöscher. Es ist ein atemberaubender Auftritt. Eins neunzig groß, breite Schultern, blaue Augen, wehende blonde Haare. Sie schwingt den Feuerlöscher mit kräftigen Armen und sprüht weißen Schaum entschlossen auf die Vorhänge, den Herd, das Fenster. Wenn du einmal einen Amazonenfilm drehen möchtest, musst du sie unbedingt besetzen. Am besten gibst du ihr einen klingenden Namen, wie Towanda, oder einen nordischen, kernigen, wie Klothildur.

F. Herb steht derweil dabei und beobachtet fasziniert seine Hünin. In seinem Kopf spielt Wagners Walkürenritt. Er überlegt, wie eine Gesellschaft wohl aussehen möge, die von solchen Frauen regiert wird. Männer wie er wären dann zur Hausarbeit und Kinderpflege abkommandiert, sie würden Staubwischen und Schnittblumen dekorativ in Vasen stellen, während die Walküren an großen, schweren Eichentischen säßen, Bier aus großen Humpen tränken und über Angriffskriege und feindliche Übernahmen sprächen. Bis er zu Ende philosophiert, brennt schon nichts mehr. Philosophen sind zum Feuerlöschen einfach nicht gemacht.

Eine Woche später ist vom Popcorn-Feuerwerks-Unglück nichts mehr zu sehen in der Küche. Die Vorhänge wurden ausgetauscht, ebenso wie der Satz Plastik-Kochgeschirr, der beim Herd hing und beim Brand verschmorte. „Eine Suppenkelle, die geformt ist wie ein Fragezeichen?“, sagte F. Herb beim Begutachten des Schadens. „Nein, so etwas kann man nicht gebrauchen.“ „Ja“, sagte die Hünin und nahm ihm den verschmorten Plastiklöffel ab. „Wir kaufen einfach einen neuen.“ Jetzt hängt ein neuer neben dem Herd, diesmal aus Edelstahl. „Da kaufen wir dann auch einen neuen Pfannenwender, einen Schneebesen und einen Schaumlöffel aus Edelstahl“ erklärte die Hünin resolut, als sie beim Einkaufen in der Haushaltswarenabteilung eines großen Kaufhauses standen. „Wie sieht denn das sonst aus.“ F. Herb widersprach nicht, und so findet bald darauf ein Obdachloser einen Pfannenwender, einen Schneebesen und einen Schaumlöffel aus Plastik in der Mülltonne der Herbs. Weil aber ein Obdachloser nie kocht, wirft er sie wieder zurück.

Suppenkellen und Vorhänge kann man ersetzen. Leider geht aber der Gestank von verschmortem Plastik nie wieder ganz aus der Küche raus. Es war ja nicht nur das Kochbesteck aus Plastik, die Vorhänge waren ja auch aus Nylon. Sie lüften, bis ihnen fast die Zehen abfrieren, und F. Herb stellt Potpourri auf. Erfolglos. Es riecht weiterhin nach verschmortem Plastik, durchzogen mit Rosenduft. Weil Hünin und Philosoph es nach ein paar Monaten satt haben, ständig an den Brand zu denken, wenn sie in der Küche stehen, entschließen sie auszuziehen. Sie suchen sich eine nette kleine Wohnung am anderen Ende der Stadt, dreieinhalb Zimmer, Souterrain. Zum Einzug essen sie Popcorn und sehen Sitcoms. Das Popcorn stammt aus der Mikrowelle. Sicherheitshalber.


In der Wohnung bleibt nichts zurück bis auf den Plastikgeruch und eine zerfledderte Ausgabe von F. Herbs Anmerkungen zu  Rousseaus gesammelten Werken. Es war leider kein Kassenschlager geworden. F. Herb hatte sie zum Abstützen seines Schreibtisches benutzt. Beim Auszug war es einfach auf dem Boden im Eck liegen geblieben und vergessen worden. Der Nachmieter – ein ganz unphilosophischer, 32-jähriger Kopiererreparierer – findet es das Buch, blättert es durch, und wirft es gelangweilt in die Tonne, in der auch das Plastik-Kochbesteck landete. Dort fischt es eben jener Obdachlose wieder heraus, der zuvor die Suppenkellen verschmähte. Diesmal nimmt er den Fund an sich. 

In seinem kleinen Pappkarton-Burg unter einer Brücke liest er Kapitel um Kapitel, sehr interessant findet er die Lektüre. Alle Probleme und Aufgaben die sich der Gemeinschaft stellen werden von der Gemeinschaft gemeinsam besprochen und zwar so lange, bis sich eine Lösung für alle findet. Auch hartnäckiger Plastikgeruch nach Bränden in Küchen. „Wenn es in einer Küche unbändiger Plastikgeruch vorherrscht nachdem die Vorhänge abgebrannt sind, möge sich die Hausgemeinschaft geschlossen zusammensetzen und beraten, was zu tun sei“, resümiert der Obdachlose. „Sie mögen eine einstimmige Entscheidung fällen, darüber, ob die Wohnung zu renovieren sei oder besser alle Vorhänge in allen Räumen abgebrannt werden, um eine gleichmäßige Geruchsbelästigung zu erreichen. Sodann bestimmen sie einen aus ihrer Mitte, der den Entschluss umsetze und nach Vollzug wieder vorspreche über den Erfolg.“ Philosophen sind bei Bränden einfach nicht zu gebrauchen.

Friday, February 12, 2016

Tee in Vietnam

Ach ist das schön hier. Kaum fünf Tage in Vietnam und schon geh ich entspannter, sitze aufrecht und habe Sonnenbrand.
Wir kamen Freitag abend in ho chi minh City an und blieben in einem netten Hostel namens hello house, mitten bei den backpackern aber in einer Seitenstraße, leise und sehr sauber. Am nächsten Tag, Samstag, sahen wir uns dem Reunification palace und das war remnants Museum an, lernten viel über den Krieg und danach und hatten zum ersten mal das Gefühl, dass sich Amerikaner auch mal fühlen können wir Deutsche in Yad Vashem - zumindest ansatzweise.
Sonntag flogen wir auf die Insel Phu Quoc. Sie liegt westlich der Küste, schon ziemlich nah an Kambodscha, und zeigt leider kein schönes Bild der Vietnamesen. Es liegt wirklich viel Müll überall, auch am Strand, überall wird gebaut und es gibt viele Wellblechhütten, in denen Vietnamesen eher ärmlich wohnen.
Die ersten zwei Nächte blieben wir in einer einfachen Anlage mitten im Dschungel. Sehr entspannt, viele Backpacker mit denen wir reden konnten und austauschen, gutes Essen zu vernünftigen Preisen. Wir gingen jeden Tag einige Minuten durch den Dschungel zum Strand. Hier zeigte sich wieder, dass es vermüllt war und im Dschungel wurde viel gebaut und gerodet. Letztendlich lagen wir auch immer auf dem Strand eines Privatresourts. Nach zwei Tagen hat es uns gereicht und wir wanderten gleich über in das Ressort eins weiter - Mango Bay, vier Sterne, bestes Hotel der Insel nach Trip Adviser 2014, und was soll ich sagen: traumhaft. Wunderschöner Bungalow am Strand, sauber, freundlich, schnorchelsachen und Kanu inklusive, Tee, gutes Obst...
Heut waren wir zum Abschluss auf dem night market in Dung Doung. Es ist eigentlich nur eine kleine Straße in der am Anfang Restaurants sind mit riesigen Tanks voller Hummer, Krabben, Krebsen, Schnecken, schlangen und Haien (?!), dahinter kommen die Süßigkeiten und dann Stände mit Perlenschmuck.
Phu quoc ist für seine Perlen ziemlich berühmt. Aber auch für seinen Pfeffer. Der wird hier viel angebaut und schmeckt wirklich sehr gut. Die Einheimischen mischen auch Pfeffer, limette und chillie und haben schließlich sowas wie das thailändische Nam pla. Sehr gut zu Fisch, Fleisch, allem.  Mango wird ebenfalls angebaut, Vanille und Kokosnüsse, und was soll ich sagen: alles extrem köstlich.
Die Insel hat auch gutes Wasser, schon direkt an der Küste sahen wir große Fischsschwärme. Aber sie hat auch eine dunkle Vergangenheit: während der französischen Kolonialherrschaft und unter Diem war hier das Gefängnis für politische Gefangene, und das war, muss man leider sagen, die reinste Folterkammer. Wer Details möchte, kann gern nachfragen, hier spare ich mir und euch den Rest. Zumindest muss gesagt werden, dass es ein wirklich guter Grund für den Krieg war, der erst gegen das Stellvertreterregime und später direkt gegen die USA geführt wurde.
Inzwischen muss man aber sagen, dass die Insel ihre Vergangenheit abgestreift hat. Es sind wunderschöne Strände und traumhaftes Wetter.
Ich trinke jetzt meinen Tee aus und gehe schlafen, umringt von Zikaden und Meeresrauschen. Gut Nacht