LL Aktuell

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Geschichten und andere Geschichten

Friday, November 4, 2011

Nachtfahrt

Thomas D hat Rückenwind und nimmt dich mit auf einen Nachtflug. Da erzählt er dir was davon, dass alle Liebenden innerlich immer noch Kind seien.

Das Streiflicht der Süddeutschen Zeitung von Mittwoch zitiert zur Liebe Hella von Sinnen: Sie sei der Meinung, dass Liebe Toleranz für die kleinen Macken des anderen verlange

Und ich bete für eine tolerante Leserschaft.

Aber wie ist das mit der Toleranz?

Ist es wirklich schon Toleranz, wenn man sich an nervige Sachen gewöhnt, nur weil sie täglich da sind?

Zum Beispiel der Weg von der U-Bahn zur Wohnung meiner Eltern. Früher war er mir zu lang und ich stieg immer eine Station später aus, um kürzer zu gehen.
Heute bin ich extra eine Station früher ausgestiegen, um exakt diesen Weg zu laufen. Oder der Anrufbeantworter meiner Freundin.
Früher nervte es mich, sie nicht persönlich zu erreichen. Heute wünsche ich mir, dass sie einen hätte, damit ich liebe Nachrichten aufsprechen könnte.

Wie es wohl in fünf Jahre mit dem Autofahren sein wird? Jetzt nervt es mich kolossal.

Eigentlich seltsam, dass ich bisher noch nichts davon schrieb, obwohl ich seit drei Monaten täglich zwei Stunden fahre. Insgesamt. Eine Stunde hin, eine zurück. Meist eher weniger, aber dennoch genug.
Jetzt haben wir ja inzwischen Winterzeit. Prompt mit der Umstellung letzten Sonntag ist es gleich ein ganzes Stückchen dunkler geworden. Wo ich früher in Dämmerung heimfuhr, ist es jetzt Nacht. Und nicht nur Nacht, sondern stockdunkel.
Ich fahre also von der Schnellstraße in Augsburg auf die A8 Richtung München, und plötzlich frage ich mich: Wo ist denn die Welt hin?
Vor mir nur rote Rücklichter. Die Fahrer hinter mir sind durch das Umklappen des kleinen Hebels am Rückspiegel beinahe ausgeblendet. Eine wunderbare Erfindung, dieser Spiegeldimmer.  Mir fehlt der Mond und die Sterne fehlen mir auch. Sie haben sich in eine Nebeldecke eingehüllt und kommen heute nicht mehr zum Spielen raus. So bleiben nur ich und die Rücklichter. Wie eine Horde roter Glühwürmchen schlängeln sie sich durch kurvige Berge und Täler, So individuell und einzigartig ich auch war, als ich an meinem Bürotisch saß eine gute halbe Stunde zuvor, so verkehrt hat sich das Bild innerhalb einiger weniger Minute. Ich bin auch nur zwei rote Glühwürmchen für all die anderen, die hinter mir sind. Kann ch das tolerieren? Ist ein bißchen Bequemlichkeit, wie sie ein Auto und der Job, zu dem es einen fährt, wirklich wert, zum austauschbaren Teil einer Horde zu werden?
Die Antwort liegt wohl in der Liebe, in diesem Fall zu meinem Job. Das Team ist wunderbar. Ohne sie müsste ich lange nach Menschen suchen, mit denen ich so viel lachen kann. Zum Beispiel darüber, dass unsere Datenbank immer um kurz vor Feierabend sagt, man müsste eine Nachricht in das Feld für Nachricht eintragen, wenn es doch gar kein Feld für Nachricht gibt. Oder darüber, dass unsere Super-Kollegin die Abteilung verlässt und ihr ganzes, gut sortiertes und amüsant präsentiertes Fachwissen einfach mitnimmt. Schließlich ist es nur in ihrem Kopf.
Damit wären wir wieder bei den Fantastischen Vier angelangt. Wie beim Eingangszitat eines Fantastischen ist auch dies eine doppeldeutige Metapher, weil unser Team derzeit noch aus vier (fantastischen) Mädels besteht.
es sei genug durch die Nacht geflogen. Hella von Sinnen wird von der SZ für von Sinnen erklärt, weil die Toleranz in der Liebe nichts zu suchen habe. Darauf werfen wir aber lieber nur ein Streiflicht, während wir uns zum schlafen gehen ein bißchen ruhige Musik anhören.

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